«Worum geht’s wirklich bei den vom Flughafen und der Regierung gewünschten Pistenverlängerungen in Kloten?» – Andreas Heiter, langjährig bei der Flugsicherung Skyguide Tower-Chef von Zürich Kloten, gibt Antwort im Inside Paradeplatz-Artikel.
Andreas Heiter, langährig bei der Flugsicherung Skyguide Tower-Chef von Zürich-Kloten, schreibt:
«Am 3. März stimmt der Kanton Zürich über die Verlängerung der Pisten 28 und 32 ab. Die Befürworter führen „mehr Sicherheit, mehr Pünktlichkeit und mehr Nachtruhe“ ins Feld. Dies hält einer näheren Betrachtung nicht stand, wie die folgenden acht Themenkomplexe zeigen.
1 Sicherheit und Sicherheitsmarge:
In den vergangenen 75 Jahren hat es keine nennenswerten Vorfälle nach Landungen auf Piste 28 gegeben. Somit muss sie als sicher betrachtet werden.
Der Flugbetrieb auf allen Pisten ist mindestens zu 99,9% sicher, und eine 100%-Sicherheit kann auch mit Pistenverlängerungen nicht erreicht werden.
Längere Pisten verhindern das Überschiessen des Pistenendes nicht, wenn Piloten gravierende Fehler machen. Beispiele: Air France A340 in Toronto, Swissair DC-8 in Athen.
Längere Pisten können Piloten dazu verleiten, auch bei grösserer Geschwindigkeit und Höhe zu landen, das heisst, später als geplant auf der Piste aufsetzen, mit dem Risiko des Überschiessens. Siehe Beispiele oben.
Am Pistenende 28 wurde vor wenigen Jahren ein Abbremssystem eingebaut, das Flugzeuge im Falle des sehr unwahrscheinlichen Überrollens sicher und ohne Schaden zum Stillstand bringt.
Schwere Unfälle mit Todesfolgen hat es in Zürich nur im Anflugbereich gegeben. Dies hatte nie etwas mit der Pistenlänge zu tun.
HBOKW: Bruchlandung zwischen Autobahn und Pistenanfang 28. Alitalia: Anflug Piste 14, Stadlerberg. HBLPN: Anflug Piste 28, Kloten, Absturz in Wohnhaus. Crossair: Bassersdorf. N469BD, Cirrus: Absturz im Flughafengelände, nach missglücktem Anflug auf Piste 14.
Jeder Flugzeugtyp kann ohne Probleme auf Piste 28 landen. In der Berechnung der jeweils benötigten Lande- und Bremsdistanz sind schon bis zu 60% Sicherheitsmarge mit eingerechnet.
Zum Thema Sicherheitsmarge: Am 28.12.2000 kam es im Ausflug Piste 28 zu einem schweren Vorfall, bei dem knapp eine Katastrophe vermieden werden konnte.
Das BFU (heute SUST) hielt im Schlussbericht fest, dass in Zürich die ICAO-Regeln nicht eingehalten werden.
Demnach dürfe ein Start auf Piste 28 nicht erfolgen, wenn ein Anflug auf Piste 14 näher als 5 Minuten (!) vor der Piste ist. Das BAZL hat darauf nie reagiert.
Frage: Warum will man eine zusätzliche Sicherheitsmarge bei Piste 28, wo noch nie etwas passiert ist, unternimmt aber nichts, wo Sicherheitsvorgaben der ICAO nicht umgesetzt werden?
2 Pistenkreuzungen:
Die Pistenkreuzungen wird es immer geben. Sei es Start 16 und 28, Start 34 und Landung 28, Landungen 14 mit Rollen zum Standplatz südlich der Piste 28.
Damit die geplante Umrollung der Piste 28 nützlich wäre, müsste sie bis circa 800 Meter östlich des Pistenanfangs führen. Nur dann könnten rollende Flugzeuge die Anflugachse 28 unabhängig der Anflüge kreuzen.
Diese Umrollung kann ohne Volksabstimmung gebaut werden. Sie ist nicht Bestandteil des Pistensystems. Und warum wurde sie bis jetzt nicht gebaut? Weil sie nichts bringt.
Damit nichts passiert, sind die Lotsen gut ausgebildet. Könnten sie diese Verantwortung nicht übernehmen, müssten sie ausgewechselt werden.
3 Kapazität:
Welche Kapazität ist gemeint, wenn gesagt wird, sie werde nicht erhöht?
Die planbare Kapazität, Anzahl zur Verfügung stehende Slots, ist zu den Spitzenzeiten pro Stunde für Anflüge 36, für Abflüge 40, Total aber nicht mehr als 66.
Dies wird dann auch noch in 5 Minuten-Blöcke aufgeteilt, so dass nicht alle Slots schon in den ersten Minuten einer Stunde belegt werden.
Nach 21 Uhr ist die Anzahl Slots reduziert.
Die effektive Anzahl der Anflüge und Abflüge hängt von verschiedenen Faktoren ab, wie Wetter, Verkehrsüberlastung im Luftraum oder Einschränkungen auf anderen Flughäfen.
Die Anzahl Slots pro Stunde könnte heute schon vom Flughafen und der Flugsicherung problemlos auf 70+ erhöht werden. Dies ohne Änderung des Betriebsreglements oder aufgrund einer Volksabstimmung.
4 Stabilität
Eines der Argumente vom Flughafen ist immer wieder, dass mit den Pistenverlängerungen ungeplante Umstellungen vermieden werden können. Und somit würde die Stabilität des Betriebes verbessert.
Auf meine Frage, welche konkreten „ungeplanten Umstellungen“ vermieden werden können (wann, Anzahl, Auswirkungen etc.), habe ich nie eine Antwort erhalten.
Warum? Weil es sie nicht gibt!
Wünscht oder verlangt ein Pilot eine andere Piste, so kann dies gegeben werden. Allerdings geht so die Anflugpriorität verloren, und alle anderen Anflüge haben Vorrang (ICAO-Regel).
Nachdem diese Piloten die Information betreffend Wartezeit erhalten haben, geht es in der Regel nicht lange bis sie melden, dass nach einer erneuten Berechnung die Landung auf der ursprünglich vorgesehenen Piste möglich sei…
Selbst wenn es sein müsste, dass ein Flugzeug statt auf Piste 28 zwingend auf Piste 34 landen müsste (was sehr unwahrscheinlich ist), so könnte dies ohne Verzögerungen für andere Flugzeuge mit wenig Aufwand für die Flugverkehrsleitung bewerkstelligt werden.
5 Verspätungen
Ohne signifikante Wetterphänomene (Wind, Sicht, Schnee) produziert Zürich keine Verspätungen.
Die Verspätungen sind hauptsächlich auf Überlastungen im europäischen Luftraum zurückzuführen
Dass Langstreckenflüge, die um 23 Uhr geplant sind, vor 23 Uhr starten werden, weil sie dann die Piste 32 benutzen könnten und nicht mehr zur Piste 34 rollen müssten, wo zudem noch die Piste 28 gekreuzt werden müsste, ist eine Illusion.
Auch wenn sie auf Piste 32 mit der kürzeren Rollzeit starten, ist die Startzeit vielfach nach 23 Uhr.
Tatsache ist, dass die Rollzeit zur Piste 34 höchstens etwa 2 bis 3 Minuten länger ist als zur Piste 32.
Für die Pistenkreuzung gibt es kaum Verzögerungen, da um diese Zeit sehr wenige, wenn überhaupt, Anflüge auf die Piste 28 erfolgen, welche die Pistenkreuzung verzögern könnten.
6 Sicherheitsbericht
Als Grundlage für die Pistenverlängerungen wird immer wieder die Sicherheitsüberprüfung aus dem Jahr 2012 erwähnt.
Aus meiner Sicht ist diese sogenannte Sicherheitsüberprüfung eine sehr subjektive Analyse des Betriebes auf dem Flughafen Zürich.
Die meisten der darin vorgeschlagenen Massnahmen sind entweder unnötig, nicht machbar oder bringen nichts.
7 Pistenverlängerung 32
Ob die Pistenverlängerung 32 vermehrt Starts von schweren Flugzeugen ermöglichen wird, ist meines Erachtens fraglich.
Die Restriktion für Abflüge auf Piste 32 ist nicht die Pistenlänge, sondern die Minimumhöhe, die bei circa 4 bis 5 Meilen nach dem Start zum Abdrehen erreicht werden muss.
Je näher das Pistenende bei dieser Höhe liegt, desto steiler wird das Ausflugprofil, und dies zu erreichen, könnte für gewisse Flugzeugtypen schwierig werden.
8 Allgemeines
Vom Flughafen ist immer betont worden, dass nach den Pistenverlängerungen der Betrieb beziehungsweise das Betriebsreglement keine Änderung erfahren werde.
Das heisst, es darf nicht zu mehr Zeiten als heute auf die Piste 28 angeflogen werden. Der Flughafen muss auf diese Versprechungen behaftet werden.
Wie sich der Flughafen bei seinen Argumenten täuschen kann, zeigt das Beispiel der Schnellabrollwege Piste 28.
Die wurden gebaut mit der Absicht, die gleiche Anzahl Landungen pro Stunde (+/- 36) wie auf der Piste 14 zu ermöglichen.
Die Schnellabrollwege sind gebaut, aber die Landekapazität hat sich aus verschiedenen Gründen nicht erhöht – und wird sich auch in Zukunft nicht erhöhen.»